Entfremdung bereits vor der Corona-Krise
Ulrich Ladurner konstatierte bereits vor der Krise: „Wir haben es mit einem Land zu tun, das sich innerlich abgekoppelt hat von Europa. Es gibt eine mentale und psychische Abkoppelung in Italien von Europa, und das macht mir Angst“.Sowohl bei der Euro- als auch der Flüchtlingskrise fühlte sich Italien im Stich gelassen, ein Gefühl, das von den Matteo Salvini aufgenommen und 2019 zu einem triumphalen Wahlsieg bei den Europawahlen führte.
Fragewürdige Reaktionen der Europäer
Als die Katastrophe in Italien seinen Lauf nahm, stoppten die EU-Staaten erst mal den Export von Schutzkleidung. Russland und China sprangen mit Hilfslieferungen ein und können wahrscheinlich immer noch nicht fassen, wie einfach sie die Europäer vorführen konnten. Auch wenn mittlerweile ein umfangreiches Rettungspaket beschlossen wurde, hinterlässt der erbitterte Streit um Corona-Bonds Wunden.Fatales Zerrbild von Italien
In zwei Artikel von SPIEGEL ONLINE rechnet Thomas Fricke mit vielen Vorurteilen ab. Anders als häufig behauptet, sind die Ausgaben in Italien seit vielen Jahren zurückgegangen, auch im Gesundheitssystem – mit fatalen Folgen.„Man muss sich nur einen Moment in jene Menschen in Mailand oder Bergamo hineinversetzen, die seit Jahren ... Kürzungen im täglichen Leben zu spüren bekommen haben, wegen überlasteter Krankenhäuser womöglich gerade ihren Vater oder ihre Mutter verloren haben - und jetzt von deutschen Großkotzen lesen, sie hätten ja mal sparen können.“
Müssen arme Deutsche für reiche Italiener zahlen?
Auch die Geschichte, dass armen Deutsche für reichte Italiener zahlen, hält Fricke für nicht glaubhaft.Abgesehen von fragwürdigen Berechnungen und der Tatsache, dass Italien nichts für die ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland kann, bleiben Fragen offen. Nach seiner Ansicht würde eine Vermögenssteuer (die dieselben Leute in Deutschland strikt ablehnen) zu einer Kapitalflucht und einer Verschärfung der Probleme führen.
Antideutsch, antieuropäisch und ohne Plan
Um ausgewogen zu bleiben, möchte ich nochmals Ulrich Ladurner zitieren. In seinem Artikel "Antideutsch, antieuropäisch und ohne Plan" kritisiert er die italienische Regierung, die auf der Welle der antieuropäischen Ressentiments reitet. Angesichts der bockigen Haltung fragt er zurecht: "Wie kann man den Italienern helfen, ohne sie zu kränken?"Etwas Hoffnung bleibt
Mit dem Entscheidung die Hilfe über den Haushalt zu organisieren, könnte der emotionale Streit etwas abklingen. Bundespräsident Steinmeier hat in seiner Rede zurecht europäische Solidarität eingefordert: „Deutschland kann nur stark und gesund aus der Situation hervorgehen, wenn es auch den Nachbarn gut geht.“Während der Austritt Großbritanniens – so schmerzhaft er auch war und wird – verkraftbar ist, erscheint ein möglicher Austritt des Gründungsstaats Italiens aus der EU schlicht nicht vorstellbar.