Montag, 28. Dezember 2020

Eine Jahresbilanz - Gibt es einen Wende zum Besseren?

Mit dem letzten Beitrag dieses Jahres möchte ich etwas Optimismus verbreiten. Dabei verweise ich  auf zwei Artikel von Henrik Müller, der mit seinen Beiträgen im SPIEGEL Hoffnung macht.

Eine Jahresbilanz – Wie das Virus die Welt veränderte

In seiner Jahresbilanz beschreibt Henrik Müller 2020 als das Jahr der Trendwenden. Die Coronakrise hat viel Wandel angestoßen – auch zum Besseren. Die Krise hat gezeigt, welchen konkreten kollektiven Gefahren die Menschheit ausgesetzt ist – für jeden direkt und persönlich spürbar. Müller nennt aber auch drei Punkte, die Hoffnung machen: 

Die Krise hat den Wert der Wissenschaft kraftvoll vor Augen geführt: 

Technologischer Fortschritt ist möglich und nützlich, so wurde in Rekordtempo ein Impfstoff entwickelt. 

Corona dämmt den Populismus ein

Donald Trump hätte ohne die Pandemie wohl sein Amt nicht verloren. Auch in anderen Ländern hat die Pandemie das Versagen eines Populismus, dem Fakten egal sind und schlechte Ergebnisse produziert.

Der Staat als Akteur der letzten Zuflucht ist zurück im Spiel

Der Staat ist wieder gefragt:  Staatliche Systeme retten Erkrankte, sichern Masken und Medikamente, unterstützen Arbeitslose, verhindern einen Totalabsturz der Wirtschaft, stellen Regeln für den zwischenmenschlichen Umgang in Phasen erhöhter Ansteckungsgefahr auf, bis hin zur Einschränkung von Grundrechten.
Die EU ist nicht zerfallen, sondern hat im Gegenteil am Ende des Jahres mit einem 750-Milliarden-Euro-Wiederaufbau-Fonds Handlungsfähigkeit bewiesen. Müllers Schlussfolgerung: "Warum sollten die Jahre ab 2021 nicht viel besser werden als 2020?"

Die Goldenen Zwanziger Jahre

In einem weiteren Beitrag sieht Henrik Müller in den kommenden Jahren sogar ein Jahrzehnt des Fortschritts.

Er verweist auf die Prognosen für die Nach-Corona-Zeit und nennt drei Faktoren für einen Auf-schwung:

  • Weniger Unsicherheit: Konsumenten und Unternehmen werden mehr Geld ausgeben
  • Mehr Freiraum: Die Hauptbetroffenen in Gastronomie, Kunst und Kultur, Tourismus werden vom Ende der Beschränkungen profitieren
  • Mehr staatliche Stützung: Viele Staaten haben mit viel Geld ihre Volkswirtschaften vor dem Kollaps gerettet – auch Joe Biden hat massive Ausgaben angekündigt, um sozial- und umweltpolitische Ziele zu erreichen

Fehler der 1920er vermeiden

Müller zieht Parallelen zu den 1920er Jahren als es in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg bergauf ging. Diese Euphorie endete 1929 in einem gigantischen Crash und den 1930er Jahren mit bekanntem Ergebnis. Müller fragt zurecht: "Werden wir die Fehler von damals wiederholen? Wir können nie davor sicher sein."

Samstag, 12. Dezember 2020

Störfall Corona – Wie die Pandemie die Globalisierung verändert

In einer interessanten Dokumentation von ZDF Zoom geht es um die Folgen der Corona-Pandemie für die Globalisierung. Durch gekappte Lieferketten und lahmgelegte Branchen wurden die Risiken der globalen Vernetzung deutlich.

Veränderung der Lieferketten

Als im Frühjahr die Produktion vieler Güter heruntergefahren wurde, nahm der Welthandel dramatisch ab. Mittlerweile haben die Unternehmen reagiert: Sie verändern ihre Lieferketten und/oder beschleunigen die Digitalisierung. 

Positive Seiten der Globalisierung

Die Dokumentation beleuchtet auch die positiven Seiten der Globalisierung. „Denn die Globalisierung ist zwar in vielerlei Hinsicht Ursache für Ausbeutung und soziale Ungerechtigkeit, doch ohne sie sähe es noch schlimmer aus.“ Besonders Schwellenländer könnten durch ein Ende der Globalisierung leiden, manche befürchten, dass mehr Menschen an Hunger sterben als an der Pandemie.

Kein Zurück in die Zeit vor der Globalisierung

Diskutiert wird auch, ob die Corona-Krise Positives bewirken könnte: eine gerechtere Arbeitsteilung, bewussteren Konsum, weniger Luftverschmutzung, mehr soziale Verantwortung? Die Krise zeigt die Verwundbarkeit unserer vernetzten und komplexen Welt – es gibt trotz allem kein Zurück in die Zeit vor der Globalisierung.

Montag, 7. Dezember 2020

Die Schwaben und die Corona-Proteste

„Was ist los mit den Schwaben?“ fragt nicht nur die Heute Show, sondern auch seriöse Medien.

Was ist los mit den Schwaben?

Zunächst der Bericht Fabian Köster von der Querdenker-Demo in Konstanz. Exemplarisch werden verschiedene Varianten der Demonstranten vorgestellt.




Der deutsche Bible Belt und die Anti-Corona-Proteste

Der SPIEGEL beschreibt die Verbindungen zwischen den Protest gegen die Corona-Politik in Dresden und Stuttgart: Widerstandsidentität, evangelikale Strukturen und eine verbreitete Liebe zur AfD.
Beide Regionen eint die Hauptsache-Dagegen-Haltung – zurückzuführen auf eine gemeinsame Feindbildkonstruktionen. Diese haben ihre Wurzel in einem konservativ-christlichen Wertebild, der auch Verzweigungen in die AfD hat.


Freitag, 20. November 2020

Die große Spaltung

Die Bundesregierung hat den Betroffenen der Corona-Krise großzügige Hilfe versprochen. Durch die bereits geleistete Hilfe konnten Unternehmen gerettet und die Einkommensverluste vieler Menschen begrenzt werden. Dennoch droht eine Spaltung, wie Helena Ott in einem Kommentar für die Süddeutsche Zeitung ausführt.

Gutverdienter sparen, Geringverdiener von der Pleite bedroht

Ott verweist auf den großen Unterschied zwischen Gut- und Geringverdienern: "Während Gutverdiener jetzt unfreiwillig jeden Monat mehr ansparen - die Sparquote hat sich gegenüber 2019 fast verdoppelt - reißen Kurzarbeit, Arbeitsplatzverlust und eingefrorene Selbständigkeit riesige Löcher in die monatlichen Budgets von Geringverdienern."
Minijobber, Leiharbeiter und Beschäftigte in der Gastronomie waren und sind am härtesten betroffen – bei vielen von ihnen kommt die bisherige Hilfe nicht an.

Gezielt Geringverdienern helfen

Ott fordert deshalb gezielte Hilfen, damit sich die Schere zwischen Arm und Reich nicht noch mehr öffnet. Dabei geht es um mehr: "Auf individueller Ebene geht es um die Würde von Millionen Privatpersonen. Aber auch die gesamtgesellschaftliche Sicht ist entscheidend: Ökonomische Ungleichheit treibt die gesellschaftliche Spaltung voran".

Samstag, 14. November 2020

Demonstrationen in Zeiten von Corona

Die Bilder aus Leipzig sind schwer zu ertragen: Während die Infektionszahlen neue Rekordhöhen erreichen und sich die Krankenhäuser mit Covid19 Erkrankten füllen, tanzen Querdenker Polonäse. Weiterhin gilt, dass das Demonstrationsrecht ein hohes Gut ist und in einer Demokratie Meinungsfreiheit herrscht, in der auch abstruse Meinungen geäußert werden dürfen.
Für einige Kommentatoren geht es aber zu weit.

Schränkt die Versammlungsfreiheit ein

Timo Lehmann kritisiert im SPIEGEL, dass der Staat die Corona-Auflagen nicht durchsetzen konnte. Deshalb sollten solche Großveranstaltungen vorübergehend eingeschränkt werden – oder verboten.
Das Verhalten der Demonstranten ist eine Ohrfeige ins Gesicht alle jener, die gerade versuchen, sich strikt im Sinne der Gemeinschaft an die Regeln zu halten
Eine gänzliche Aussetzung der Versammlungsfreiheit ist nicht nur rechtlich schwierig, überzeugend finde ich deshalb Lehmanns Vorschlag, die Anzahl zu deckeln und an die Demonstrationen an Orten zu genehmigen, an denen sie wenigstens niemand anders gefährden.

Rücksichtslosigkeit ist kein Freiheitsrecht

Ähnlich argumentiert Bundespräsident Steinmeier: Friedlicher Protest muss auch in der Pandemie möglich sein, das Verhalten der Demonstranten kritisiert er zurecht scharf: "Wo einige Zehntausend Menschen die Auflagen missachten, die Regeln verspotten und weder auf Abstand achten noch Masken tragen, da werden Grenzen überschritten."

Einige Corona-Rebellen überschreiten Grenzen

Nach wie vor kann ich viele Sorgen und Bedenken verstehen. Einige selbst ernannten Corona-Rebellen überschreiten aber mittlerweile jegliche Grenzen – auch des Anstands. Was sind das für Leute, die in öffentlichen Verkehrsmitteln andere Leute anbrüllen, dass die ihre Masken absetzen sollen? Die passende Antwort findet Oliver Welke in der Heute Show:

Donnerstag, 5. November 2020

Die Corona-Maßnahmen erklären und darüber streiten

Zwei Kommentare von Jens Schneider in der Süddeutschen Zeitung beschäftigen sich mit zwei Defiziten der Debatte über die Corona-Krise und die Einschränkungen: es wird zu wenig erklärt und zu wenig gestritten.  

Einschränkungen verständlich machen

Im Kommentar Erklärschuld kritisiert er das Schüren von Angstszenarien, wie es die Kanzlerin und einige Länderregierungschefs zuletzt taten, sie nennt es den „Das-habe-ich-doch-nun-schon-dreimal-gesagt-Gestus“. „Es hilft schon im Umgang mit Kindern nicht, eine Mahnung im gleichen Tonfall und Wortlaut ständig zu wiederholen. Hier wurden erwachsene Bürger angesprochen.“
Die Politik hat das Mandat und die Aufgabe, über diese gravierenden Einschnitte in den Parlamenten zu beraten, zu entscheiden und das intensiv zu erklären.

Höchste Zeit für parlamentarischen Streit

Bereits zuvor hat Jens Schneider in einem Kommentar auf ein anderes Defizit hingewiesen – den Mangel an parlamentarischem Streit. Er findet es richtig, dass am Anfang der Pandemie schnell gehandelt wurde – Krisensituationen sind die Stunde der Exekutive. Nun ist aber an der Zeit, dass sowohl Opposition als auch Regierungsfraktionen ihre Rechte mit Selbstbewusstsein wahrnehmen.
Zwar wurde über einzelne Maßnahmen wie z.B. das Beherbungsverbot gestritten, aber eben nicht im Parlament, wo solche Debatten hingehören. Da die größte Oppositionspartei AfD ihrer Aufgabe nicht gerecht ist es die Aufgabe der anderen Fraktionen konkrete Vorschläge zu formulieren.

Donnerstag, 29. Oktober 2020

Medien - das Corona-Panikorchester?

Der Medienforscher Stephan Russ-Mohl kritisiert in einem Bericht für die Süddeutsche Zeitung die Medien scharf – durch ihre Berichterstattung hätten sie Angst geschürt. Er schickt voran, dass er kein Verschwörungstheoretiker ist - warum auch immer das mittlerweile nötig ist.

Vertreiben Medien Angst und Schrecken?

Nicht die Regierenden haben die Medien vor sich hergetrieben, wie das Verschwörungstheoretiker so gerne behaupten. Vielmehr haben die Medien mit ihrem grotesken Übersoll an Berichterstattung Handlungsdruck in Richtung Lockdown erzeugt, dem sich die Regierungen in Demokratien kaum entziehen konnten. Er verweist darauf, dass sich an manchen Tagen rund 70 Prozent der Berichte um Corona drehten.

Nachrichtenauswahl führt zum Tunnelblick

Durch die übertriebenen Berichte entsteht ein Tunnelblick: „Überaufmerksamkeit und einseitige Fokussierung erzeugen beim Publikum Interesse, aber eben auch Angst; diese Angst generiert steigende Nachfrage nach Corona-News, die inzwischen ja online in Echtzeit messbar ist.“ Dies führt zu weiteren Nachfragen mit den immer gleichen Experten und verengt die Berichterstattung.

Weniger Angstmache

Der Autor fordert weniger Angstmache und mehr Demut vor der Unberechenbarkeit des Virus, mehr Vertrauen in die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger statt staatlicher Bevormundung, soweit sie über Abstandsregeln, Hygienetipps und Maskenpflicht hinausgeht - aber auch weniger Angstmache in den Medien, die mittelfristig den News-Totalverweigerern Auftrieb geben wird.

Bewertung 

Die dramatisch steigenden Zahlen an Infektionen zeigen, dass die Angst vor dem Virus sicher nicht unberechtigt ist. Dennoch ist an der Kritik sicher was dran, besonders im März gab es fast keine anderen Themen mehr. Auch Politiker*innen setzten viel auf Angstmachen statt die Politik zu erklären.

Montag, 19. Oktober 2020

Ist die Corona-Pandemie ein Epochenwechsel?

Im Blogeintrag über Andreas Reckwitz habe ich seine Position dargestellt, der in der Corona-Pandemie keinen Epochenwechsel sieht. Der Historiker Andreas Wirtsching hingegen sieht im Stern in der Corona-Krise sehr wohl einen Epochenwechsel und begründet dies auch überzeugend.

Nur Nationalstaaten und Behörden sind handlungsfähig

Die Bedeutung der Nationalstaaten, die manche im Zeitalter der Globalisierung schon als stark abnehmend betrachteten, hat wieder zugenommen. Während internationale Organisationen wie WHO und EU kaum handlungsfähig waren, waren es die Nationalstaaten, die gehandelt haben.

Schwere ökonomische Folgen

Durch die Pandemie ist der internationale Handel zum Erliegen gekommen und hat bei Produkten wie Masken und Medikamenten die Abhängigkeit deutlich gemacht. Ohne Frage wird dies Spuren hinterlassen. Auch für die Wirtschaft befürchtet Wirsching einen langwährenden Nachfrageeinbruch und „bittere politische Rechnungen“.

Katalysator bestehender Tendenzen

Ähnlich wie Reckwitz und andere Autoren betont auch er, dass viele Entwicklungen verstärkt werden könnten. "Das kann positive Entwicklungen betreffen wie den Klimaschutz, technologische Innovationen oder auch einen kritischeren Umgang mit dem Massentourismus." Sie könne aber auch soziale Ungleichheit und Nationalismus befördern.

Freitag, 9. Oktober 2020

Im Zweifel für den Lockdown?

Viele glauben bei der Bekämpfung der Pandemie zwischen zwei Übeln entscheiden zu müssen: entweder die Schließung von Geschäften, Fabriken und Schulen, um Menschen vor der Ansteckung zu beschützen – oder man verzichtet auf den Lockdown und akzeptiert stillschweigend eine höhere Anzahl von Toten.

Menschen verzichten auf Konsum – unabhängig von den Regeln

Claus Hulverscheidt berichtet in der Süddeutschen von einer Analyse des Internationalen Währungsfonds.
Diese zeigt, dass viele Bürger freiwillig auf den Besuch auf Restaurants, Theater und Geschäften verzichtet haben, unabhängig davon, ob die Regierung einen Lockdown verordnet war.
Der freiwillige Verzicht vieler Verbraucher ist aus Sicht der Fachleute ein klarer Beleg dafür, dass eine Lockerung von Lockdowns nicht die gewünschten ökonomischen Effekte bringt, solange die Infektionsgefahr hoch ist.

Schnelles staatliches Handeln kann richtig sein

Sie folgern, dass entschlossenes staatliches Handeln prinzipiell richtig sei: Die positiven Effekte eines raschen und stringenten Vorgehens, so die Experten, könnten auf mittlere Sicht die kurzfristigen Kosten eines Lockdowns "mehr als wettmachen".

Freitag, 25. September 2020

Bundeshaushalt 2021 – Ende der „schwarzen Null“

Nach der Rekordverschuldung 2020 von 217,8 Mrd. plant Finanzminister Scholz auch für 2021 eine deutliche Neuverschuldung – 96,2 Mrd. Euro. Erst in den folgenden Jahren soll die Verschuldung zurückgehen und wieder den Kriterien der Schuldenbremse entsprechen. Das ist dann allerdings Aufgabe der neuen Regierung.

Weniger Steuereinnahmen und höhere Investitionen

Nach 509 Mrd. in diesem Jahr  hat der Haushalt 2021 „nur“ noch ein Volumen von 413 Mrd., aber immer noch deutlich mehr als vor der Corona-Pandemie. Bei sinkenden Steuereinnahme plant die Regierung weitere Investitionen: 71 Milliarden. Neben Zuschüssen zum Sozialetat fließt Geld in die Konjunkturpakete und Maßnahmen für die Klimapolitik.

Hoffen auf ein Nach-Corona-Wirtschaftswunder

Zum Abbau der Schulden gibt es drei Mittel

  • Steuern erhöhen: Eine Idee mit der sich Linke und SPD anfreunden könnten, nicht jedoch die Union.
  • Ausgaben kürzen: Dies wird im Wahljahr nicht nur von der SPD abgelehnt.
  • Hoffen auf ein Wirtschaftswunder: Mit steigender Wirtschaftskraft steigen die Steuereinnahmen – und die Sozialausgaben sinken.

Schuldenstand steigt

Durch die Maßnahmen wird der Schuldenstand steigen – auf ca. 75 % des BIP. Er liegt damit rund 15 % höher als 2019, aber immer noch deutlich niedriger als 2010 und als alle anderen wichtigen Industriestaaten der G7.

Donnerstag, 10. September 2020

Die Renaissance des Staates – aber kein Epochenbruch

Er gilt als einer der einflussreichsten Soziologen unserer Zeit und hat sich auch zum Thema Corona-Krise geäußert – Andreas Reckwitz, Professor für Allgemeine Soziologie und Kulturwissenschaft an der Humboldt Universität. In der ZEIT sowie in Interviews in der Süddeutschen  und im Tagesspiegel sind interessante Beiträge von ihm und über ihn erschienen.

Kein Epochenbruch – aber der Staat erfindet sich neu

Reckwitz sieht den Beginn des Wandels in den 1980er Jahren: die Liberalisierung der Lebensstile, die Digitalisierung, Globalisierung und der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Der Staat hat sich zurückgezogen, Reckwitz nennt dies den Übergang zum Wettbewerbsstaat. In der Corona-Krise ist der Staat wieder gefragt – er ist als Risikomanager gefordert.

Der Renaissance des Staates als Infrastrukturstaat  

Reckwitz sieht die zukünftige Aufgabe des Staates in der Bereitstellung der Infrastruktur, grundlegender öffentlicher Güter wie Bildung, Gesundheit, Wohnen und Verkehr. Dieser Staat verbindet Elemente des Wettbewerbsstaats und dessen Vorgänger Wohlfahrtsstaat. Er bezeichnet dies als „eingebetteten Liberalismus“. 

Corona-Krise spaltet die sozialen Milieus neu

Die Corona-Krise hat „unsichtbare Tätigkeiten in der Krise schlagartig sichtbar gemacht". 75 % der Erwerbstätigen arbeiten in der Dienstleistung, dazu gehört die Wissensarbeit Hochqualifizierter ebenso wie einfache Dienstleistungen der Niedrigqualifizierten. Während sich die Mittelschicht ins Homeoffice verabschiedet hat, halten die anderen den Laden am Laufen – oder stehen wie Gastronomie vor dem Nichts.
Für den gesellschaftlichen Wandel sieht Reckwitz zwei Muster: die Erfahrung eines Kollektivbewusstseins – alle sind betroffen und sind teilweise solidarisch. Das andere betrifft die Menschen – der Chance auf Selbstentfaltung und Selbstoptimierung.

Interview mit Richard David Precht

In einem interessanten Gespräch mit Richard David Precht erläutert Andreas Reckwitz seine Positionen:


Mittwoch, 2. September 2020

Die Corona-Demonstranten - nur ein Völkchen, nicht das Volk

Natürlich sind nicht alle Corona-Demonstranten Nazis, aber es verbindet sie einiges – und das Volk sind sie auch nicht!

Nur ein Völkchen, nicht das Volk

Von Detlef Esslinger stammt ein Kommentar in der Süddeutschen Zeitung, der mir wirklich aus der Seele spricht.

In einer Demokratie hat jeder das Recht, Corona zu leugnen.

Esslinger hält es für richtig, dass die Demonstration in Berlin erlaubt wurde. Gerade weil der Berliner Innensenator seine Missliebigkeit geäußert hat, musste das Gericht so entscheiden. In einer Demokratie hat jeder das Recht, Corona zu leugnen, wie er (oder sie) will.

Eine Chance, um sich lächerlich zu machen

Was die Demonstrant*innen daraus gemacht haben steht auf einem anderen Blatt: Sie waren nicht das Volk, sondern ein Völkchen aus Regenbogen- und Reichskriegsflaggenträgern, aus Meditierenden im Schneidersitz und "Putin, Putin"-Rufern, aus Trommlern im Rasta-Look und Glatzköpfen.
Völlig unglaubwürdig ist die Distanzierung der Organisatoren um das Bündnis Querdenken – sie wussten, dass Rechtsextremisten mitmarschieren und stießen verbal fast ins selbe Horn.

Freiheit und Putin

Dass die Demonstrierenden mit Freiheit eines meiner Lieblingslieder missbraucht haben (was sagt eigentlich Westernhagen dazu?) ist eine Sache, die Rufe nach Putin in diesem Zusammenhang machen die Sache aber endgültig zu einer Farce. Esslinger dazu: Aber: Die Demonstranten vom Samstag haben alles gegeben, dass man ihnen nicht zuhören will.
 

Reichsbürger trifft Impfskeptiker

Claudia Henzler zeigt in ihrem Bericht Reichsbürger trifft Impfskeptiker, dass die Demonstranten mehr verbindet, als der angeblich gemäßigt Querdenken 711 Initiator Michael Ballweg behauptet. Henzler portraitiert die obskuren Gruppen und Akteuren wie den Radiomoderator Ken Jebsen, der vor allem in den USA populären Gruppe QAnon und den Arzt Bodo Schiffmann, der bereits in zwei Widerstandsparteien ein- und schnell wieder ausgetreten ist.

Meinungs- und Demonstrationsfreiheit sind wichtig

Dennoch: Nicht alle Demonstrierenden hängen diesen Ideologien an, viele treibt echte Sorge um. Es gilt Meinungs- und Demonstrationsfreiheit. Wer aber nicht mit Nazis und Verschwörungstheoretikern in einen Topf geworfen will, sollte nicht mit ihnen demonstrieren.

Montag, 31. August 2020

Das Coronavirus verändert die Welt

Eine Dokumentation der Reihe „Die Story im Ersten“ untersucht den Zug der Seuche: Wie reagieren unterschiedliche politische Systeme und Machthaber auf die gleiche Herausforderung – auf das neue Coronavirus SARS-CoV-2? Welche Staaten schaffen es, ihre Bürger zu schützen, welche versagen? Und welche Gründe gibt es dafür? Wie kann es gelingen, Menschen gesund zu halten, ohne die Wirtschaft zu ruinieren? Und wie wird das Virus als Waffe im Wettstreit der politischen Systeme eingesetzt?

Fehler auf allen Seiten

Fraglos wurden bei allen Akteuren Fehler gemacht. Viel zu lange hielten die westlichen Demokratien das Coronavirus für ein chinesisches Problem. Während die Weltmacht USA im Corona-Chaos versinkt, strauchelte der Rivale China anscheinend nur anfangs. Wird das autoritäre Regime in Peking durch sein aggressives und konsequentes Vorgehen gegen das Virus Gewinner der Krise sein?

Unterschiede im Umgang

Jenseits der Unberechenbarkeit des Virus wird aber deutlich, dass die Politik Einfluss nehmen kann. Ich bin überzeugt, dass Demokratien durchaus mit Krisen umgehen können. Ein Beispiel im Bericht zeigt Taiwan, die durch frühes und konsequentes Handeln bis heute Schlimmeres verhindert haben.

Zweifel am Ursprung und Beginn der Epidemie  

In dem Bericht kommen auch Stimmen zu Wort, die anzweifeln, ob Wuhan wirklich der Ausgangspunkt war und ob das Virus nicht schon 2019 in Europa aufgetaucht ist. Dieses und viele andere Fehler müssen noch aufgearbeitet werden. Es wird nicht die letzte Dokumentation zu diesem Thema bleiben.

Interessante Dokumentation mit interessanten Personen

Es ist in jedem Fall eine interessante Dokumentation, in der auch viele Experten zu Wort kommen, unter anderem: Lothar Wieler (Robert-Koch-Institut); Gabriel Felbermayr (Weltwirtschaftsinstitut Kiel); Ilona Kickbusch (World Preparedness Monitoring Board); Sylvie Briand (Weltgesundheitsorganisation, WHO); Chikwe Ihekweazu (Leiter der Seuchenschutzbehörde Nigeria); Chen Chien-jen (ehemaliger Vizepräsident Taiwans).

Dienstag, 25. August 2020

Warum der Lockdown sinnvoll war

Immer wieder wird behauptet, mit den strengen Maßnahmen zu Beginn der Pandemie habe man die Wirtschaft stranguliert. In seinem Essay für die Süddeutsche Zeitung (leider nur für Abonnenten) argumentiert Marc Beise, dass dies nicht stimmt.

Kein Konflikt zwischen Epidemiebekämpfung und Wirtschaftsentwicklung

Viele Ökonomen gehen sogar davon aus, dass ein Lockdown mittelfristig weniger schädlich für die Wirtschaft ist als weniger strenge Maßnahmen. Beise verweist auf den Vergleich zwischen Schweden und Deutschland. Schweden hat gemessen auf die Zahl der Einwohner durch den lockeren Kurs fünfeinhalbmal mehr Tote, aber den gleichen Rückgang in der Wirtschaft. Auch das Konsumverhalten unterscheidet sich fast nicht – trotz offener Läden haben die Schweden deutlich weniger konsumiert.

Umsichtige schrittweise Öffnungsprogramm

Beise argumentiert, dass es ein gemeinsames Interesse von Gesundheit und Wirtschaft, die Lockerungen vorsichtig vorzunehmen. „Je besser das funktioniert, desto schneller erholt sich auch wieder die Wirtschaft und desto mehr Lockerungen werden möglich“.
Wenn diese Argumentation stimmt – und sie erscheint zumindest schlüssig – war es also nicht nur menschlich geboten, nicht auf Herdenimmunität zu setzen und den Tod vieler Menschen in Kauf zu nehmen – sondern auch wirtschaftlich vernünftig.

Donnerstag, 20. August 2020

Der Crash der Fonds der Crash-Propheten

Ein weiterer interessanter Artikel über die Crash-Propheten und ihre Fonds von Harald Freiberger erschien in der Süddeutschen Zeitung   Ich hatte mich bereits in einem Blogeintrag damit beschäftigt und sehe mich bestätigt.

Schlechte Performance der Fonds der Cash-Propheten

Marc Friedrich und Matthias Weik beschwören seit Jahren den Zusammenbruch und sahen sich durch die Krise bestätigt. Ich habe selber miterlebt, wie sie für ihre „Wertefonds“ werben, der trotz Investitionen in Gold und Edelmetalle in der Krise abstürze und seit der Auflage weit hinter andern dem Aktionenindex hinterherhinkt.
Nicht viel besser die Fonds von Max Otte, der den Absturz 2008 prophezeite. Mr. Dax Dirk Müller sichert seine Aktien gegen Kursverluste ab – wenn die Börse steigt, kostet das Rendite.

Der nächste Crash kommt bestimmt?

Die Autoren verweisen, dass der richtige Crash erst noch kommt – was für eine zynische Argumentation. Seit Jahren laufen die Aktien gut, auf fallende Kurse zu setzen ist deshalb ein Roulettespiel. Der Vermögensberater Braun sieht sich an sein Lieblingslied von David Bowie erinnert: „Wir können Helden sein, aber nur für einen Tag.“

Dienstag, 11. August 2020

Die Welt neu denken - Zeit für eine radikale Umkehr?

Maja Göpel ist nicht die einzige, die in der Corona-Krise die Chance bzw. die Notwendigkeit zur grundlegenden Veränderung sieht. Mit ihrem Buch „Unsere Welt neu denken“ schaffte sie es in die Bestsellerlisten. Sie selbst wurden von den Schülerprotesten Fridays for Future“ inspiriert und gründete die „Scientists for Future“.

Unsere Welt neu denken

In ihrem Buch geht sie der Frage nach, wie Menschen auf der voller gewordenen Erde leben können, ohne ihre Lebensgrundlage zu verszehren? Sie stellt das auf ewiges Wachstum ausgerichtete Wirtschaftssystem in Frage und sucht nach einem neuen Entwicklungsmodell. Das tut sie, so Alexander Jung und Michaela Schießl im SPIEGEL „durchaus alttestamentarisch, es ist die Forderung nach einer Umkehr".

Abkehr vom Wachstumszwang

Die Kritik an der Wirtschaft und dem Bruttoinlandsprodukt ist nichts Neues, sie liefert aber durchaus interessante Beispiele, wie z.B. Bienen, die kostenlos Pflanzen bestäuben und damit einen großen Nutzen generieren. Verkauft eine Firma jedoch Roboterbienen, die den Job nach dem Bienensterben übernehmen, wächst das Bruttosozialprodukt."
Scharf kritisiert sie einige Rettungsmaßnahmen wie Steuergelder für die Lufthansa, sie fordert stattdessen eine klare Gesetzgebung „Ohne Regulierung kein Markt“. Eine interessante Beschreibung ihres Buchs bietet der Deutschlandfunk.

Argumente gegen Klimaschutz begegnen

Sehr gut gefallen hat mir der Artikel in der ZEIT, den Maja Göpel gemeinsam mit Petra Pinzler geschrieben hat. In „Natürlich geht das“ begegnet sie mit Argumenten, die immer wieder gegen Klimaschutz angeführt werden:

  • Menschen wollen kaufen und zwar immer mehr
  • Ohne Wachstum ist alles nichts
  • Globalisierung ist gut
  • Irgendeine Technologie wird uns schon retten
  • Der Markt wird alles regeln 

Brauchen wir diesen Konsumwahnsinn?

Diese berechtigte Frage war Thema beim Gespräch von Maja Göpel im "After Corona Club" mit Anja Reschke. Göpel sieht in der Corona-Krise die Chance zum Umdenken: "Wir können das doch viel besser. Das wäre doch jetzt eine Aufbruchstimmung, die auch aus so einer Krisenhaftigkeit etwas ganz Positives mit sich bringt." Ein spannendes und lohnenswertes Gespräch!


Montag, 3. August 2020

Durchbruch beim EU-Gipfel - kommt die EU so durch die Corona-Krise?

Über 90 Stunden haben die Staats- und Regierungschefs der EU verhandelt – dann war sie da – eine Einigung über den mehrjährigen Finanzplan in Verbindung mit einem 750 Mrd.-Paket zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Krise.
Die Beobachter sind sich nicht einig – ist die gemeinsame Schuldenaufnahme der Hamilton-Moment und die erste Stufe zu den Vereinigten Staaten von Europa? Kommt die EU mit den Maßnahmen durch die Krise? Oder sind die Gemeinsamkeiten aufgebraucht?

Durchbruch geschafft

Einen guten Überblick über die Ergebnisse des Gipfeltreffens finden Sie in der Süddeutschen Zeitung.
Positiv ist auf jeden Fall zu werten, dass ein Ergebnis erreicht wurde. Alle haben etwas gewonnen haben: Merkel hat den Deal, der Süden bekommt Geld, der Norden Rabatte, Ungarn und Polen müssen wenig wegen der Rechtsstaatlichkeit befürchten.
Die Grundlage der Einigung basiert auf einem Kompromiss zwischen Macron und Merkel. Macron konnte die gemeinsame Kreditfinanzierung durchsetzen, Merkel verhinderte eine gesamtschuldnerische Haftung. Dies ist eine gute Lösung für von beiden Seiten erhöhte Debatte über Corona-Bonds.

Der Hamilton-Moment und Deutschland als Gewinner

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, beschreibt in einem Essay für den SPIEGEL den Hamilton-Moment, bezogen auf die 1790 beschlossene Fiskalunion, die in den „Vereinigten Staaten von Amerika“ mündeten. Fratzscher sieht in den Beschlüssen eine Grundlage für die europäische Fiskalunion. Außerdem sieht er in Deutschland den großen Gewinner des beschlossenen Programms. „Das deutsche Wirtschaftsmodell, das auf Offenheit und Handel beruht, kann nur als Teil eines wirtschaftlich und politisch stark integrierten Europas langfristig überleben und erfolgreich sein.“

Rechtsstaatsignoranten und Sparsamkeitspopulisten

Es galt aber auch einige Kröten zu schlucken. Die Sparsamen Vier (Niederlande, Österreich, Schweden, Dänemark, später ergänzt durch Finnland) ließen sich ihre Zustimmung teuer bezahlen. Statt der Abschaffung wurden die Rabatte für die sog. Nettozahler sogar noch erhöht. Nachgiebiger waren die Vier beim Rechtsstaat, hier gelang nur eine wachsweiche Erklärung, die Polen und Ungarn als Sieg feierten. Bernd Ulrich beklagt in der ZEIT „Rechtsstaatsignoranten und Sparsamkeitspopulisten“.

Ein lernendes System, offen und pragmatisch

Bernd Ulrich zieht in seinem Artikel ein positives Fazit, er sieht die EU in besserer Verfassung als die Vereinigten Staaten von Amerika, was allerdings aktuell keine große Anforderung ist. Spannend finde ich den zweiten Teil der Analyse. „Die EU ist ein lernendes System, offen und pragmatisch.“

Montag, 27. Juli 2020

Zwischen Gut und Böse - die Bill & Melinda Gates Stiftung

Verschwörungstheorien ranken sich um die Stiftung des Microsoft-Gründers Bill Gates und seiner Frau Melinda. Diese sind meistens reichlich abstrus - doch es gibt unter Fachleuten auch ernsthafte Kritik am Engagement des Ehepaars, wie ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung zeigt.

Sie machen was – und das ist durchaus erfolgreich

Die Stiftung hat ein Kapitel von 50 Milliarden und hat zahlreiche Programme für die globale Entwicklung und Gesundheit durchgeführt. Allein durch das Geld – das die Entwicklungshilfe von vielen Staaten übersteigt – hat die Gates-Stiftung schon einiges bewirkt. Einige Erfolge lassen sich auf die marktwirtschaftlichen Ansätze zurückführen. 

Berechtigte Kritik jenseits abstruser Theorien

Jenseits manch abstruser Vorwürfen gibt es aber ernst zu nehmende Kritik an der Gates-Stiftung. Entwicklungshelfer*innen kritisieren, dass die Stiftung auf schnelle Erfolge statt langfristiger Aufbauarbeit setzt. Dies gilt auch für den Bereich der Gesundheit. Die Gates-Stiftung legt den Fokus auf Impfung, statt Gesundheit und Gesundheitssysteme zu verbessern. Auch wenn die USA für die Finanzierungsprobleme der Weltgesundheitsorganisation verantwortlich ist, besteht die Gefahr von Abhängigkeiten, wenn die Bedeutung der Gates-Stiftung zu groß wird.

Finanz-Talk im Kopf von Bill Gates

Kritisiert wird auch der Einfluss von Big Pharma und Big Food. Die Stiftung hält u.a. Aktien an Walmart, PepsiCo, Glaxo SmtihKline, Novartis, Monsanto. Von ihr profitieren nicht nur die Armen der Welt, sondern auch viele internationalen Unternehmen.
Die Anstalt ging den Problemen auf den Grund und stellen berechtigte Fragen: Wenn also Steuergeld eingesammelt, an private Pharmakonzerne weitergegeben und in eventuelle) Endprodukte verwandelt wird - ist der Impfstoff dann für alle da?


Mittwoch, 22. Juli 2020

Corona-Stresstest für Krankenhäuser bestanden?

Eine Dokumentation im ZDF schaut hinter die Kulissen deutscher Krankenhäuser. Dank massiver staatlicher Zuschüsse haben die Kliniken den Stresstest der Corona-Pandemie gut überstanden. Die grundsätzlichen Probleme sind aber nicht überstanden – im Gegenteil.

Marktgesetze machen Beteiligten das Leben schwer 

Ich habe in diesem Blog bereits über das Gesundheitswesen berichtet und das Streben nach Effizienz verteidigt. Manche Auswüchse sind aber schwer zu ertragen. Wenig lukrative Abteilungen werden heruntergefahren, um damit geldbringenden Stationen Vorrang zu geben. Besonders entsetzt hat mich, dass in einem Fall eine Abteilung für Menschen mit Behinderungen geschlossen wurden – eine Maßnahme, die zum Glück wieder rückgängig gemacht wurde.

Markt macht Medizin

Weitere Informationen finden Sie auf der Seite der ARD Markt macht Medizin,


Samstag, 18. Juli 2020

Nur ein Grippchen? Das Corona-Virus in Südamerika

Kaum einen Kontinent ist von Corona so hart getroffen wie Südamerika. Am schlimmsten grassiert die Pandemie in Brasilien, wo der Präsident eindrücklich beweist, dass chaotische Politik die Situation noch verschlimmern kann.

Die Ausgelieferten

In einem Artikel in der Süddeutschen, der bereits Ende Mai erschien, zeichnet Christoph Gurk ein düsteres Bild der Situation in Lateinamerika. In Lateinamerika explodiert die Zahl der Corona-Infizierten - und zwar selbst in Ländern mit strengen Ausgangssperren. Denn viele Menschen können sich eine Quarantäne schlicht nicht leisten. Die Menschen müssen wählen, ob sie vielleicht am Virus oder ganz sicher am Hunger sterben.

Bolsonaro verharmlost noch immer

Obwohl Brasilien mit über 78.000 Toten in der traurigen Statistik nur noch die USA vor sich hat, verharmlost Brasiliens Präsident weiter. Obwohl er mittlerweile selbst an COVID-19 erkrankt, sieht er sich in seiner Einschätzung bestätigt, dass die „kleine Grippe“ den meisten Menschen nichts anhaben kann.

Montag, 13. Juli 2020

Corona in Krisenregionen - Die Menschen sterben zu Hause

In der Süddeutschen Zeitung erschienen heute zwei Artikel, die wütend, hoffnungslos und nachdenklich machen.

Die Menschen sterben zu Hause

Paul- Anton Krüger beschreibt in seinem Artikel die hoffnungslose Situation in Jemen und in Libyen.  In Jemen sind seit 2014 über 250.000 Menschen ums Leben gekommen. Es überlagern sich mehre Konflikte und die Verwicklung von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und neuerdings der Türkei haben die Situation verschlimmert.
Die Appelle nach einer Corona-Waffenruhe haben nichts gebracht – im Gegenteil. Große Teile der Bevölkerung haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, geschweige denn der notwendiger Versorgung, die durch die Pandemie notwendig wären. Die Todeszahlen tauchen nirgends auf, denn „die Menschen sterben zu Hause“.
Hilfe von außerhalb gibt es wenig, ein UN Spendengipfel brachte nur einen Teil des eigentlich notwendigen Summe und auch die Rücküberweisungen von im Ausland lebenden Jemeniten ist zurückgegangen.

Schöne Theorie, hässliche Praxis

Ähnlich frustrierend ist der Artikel von Daniel Brösseler und Paul-Anton Krüger, die sich mit den verzweifelten Versuchen Deutschlands beschäftigen, im UN-Sicherheitsrat eine Resolution einzubringen, um die durch den Krieg in Syrien weiter humanitäre Hilfe zukommen zu lassen.
Russland und China stemmten sich dagegen und stimmten letztlich nur einer Minimalhilfe zu, die Assads Versuch die Menschen in der noch von Rebellen gehaltenen Gebiet bei Aleppo zu helfen.
Verständlich, dass selbst einem erfahrenen Diplomaten wie Christoph Heusgen der Kragen platzte:
"Wir alle handeln auf Anweisung. Aber wenn Sie nach Hause berichten, dann sagen Sie, dass der deutsche Botschafter Sie gefragt hat, ob die Leute, die die Anweisung gegeben haben, 500.000 Kinder von humanitärer Hilfe abzuschneiden, noch in den Spiegel schauen können."

Montag, 6. Juli 2020

Die Weltgesundheitsorganisation als Spielball zwischen USA und China

Die Weltgesundheitsorganisation musste viel Kritik einstecken. Nicht zu Unrecht, wie ich in meinem letzten Blogeintrag ausgeführt habe. Letztlich sind internationale Organisationen aber von den (mächtigen) Staaten abhängig und zwei der mächtigsten – die USA und China – spielen ein böses Spiel.

Spielball zwischen USA und China

In der ARTE-Dokumentation werden verschiedene Seiten betrachtet. Die Geschichte mit unbestreit-baren Erfolgen wie der Ausrottung der Pocken, über die massive Kürzung der Pflichtbeiträge hin Corona-Krise, in der sich die WHO vorwerfen lassen muss, Sprachrohr Chinas zu sein.

Eine tolle Dokumentation – absolut sehenswert!

Ergänzung: Das Video ist leider nicht mehr auf Youtube und ARTE verfügbar. Deshalb hier die Beschreibung

Die WHO ist wegen der Corona-Pandemie in die Kritik geraten. Besonders US-Präsident Donald Trump schoss scharf gegen die Weltgesundheitsorganisation. Doch Vorwürfe kommen nicht nur aus den USA.

Als die Corona-Pandemie erstmals im Dezember vergangenen Jahres in der chinesischen Millionenstadt Wuhan auftauchte, blieb die Reaktion im Rest der Welt zunächst verhalten. Vor allem die Weltgesundheitsorganisation WHO war es, die zu Beginn der Epidemie Chinas verharmlosender Krisenberichterstattung Glauben schenkte. Erst Ende Januar 2020 erklärte sie Corona zur "Gesundheitlichen Notlage internationaler Tragweite". Viel zu spät, wie die weltweiten Auswirkungen bis heute zeigen.

Die 1948 gegründete Organisation wurde von zahlreichen Staaten daraufhin beschuldigt, die internationale Reaktion verzögert zu haben. Vor allem von US-Präsident Donald Trump kamen giftige Pfeile. Er hatte nicht nur die Einstellung der US-Zahlungen an die WHO veranlasst. Inzwischen droht er offen mit einem Austritt seines Landes aus der Organisation. Trump bezeichnete die in Genf in der Schweiz ansässige WHO zudem als "Marionette" Chinas.

Der Film von Anthony Dufour und Pierre Haski untersucht den Vorwurf, dass die internationale Organisation immer mehr einem Sprachrohr Pekings gleiche. Tatsächlich gibt es Auffälligkeiten – vor allem finanziell. So haben die USA nach Angaben der US-Vertretung in Genf im vergangenen Jahr rund 453 Millionen US-Dollar an die WHO gezahlt. Das ist nach US-Berechnungen zehnmal so viel wie China. Und für dieses sowie kommendes Jahr sind vonseiten der USA jeweils fast 116 Millionen US-Dollar an die WHO fällig. Chinas Beitrag hingegen liegt für diese beiden Jahre bei jeweils nur rund 57 Millionen US-Dollar.

Ein Grund für diese finanzielle Schieflage in dreifacher Millionenhöhe sei unter anderem, dass Peking die WHO in den vergangenen rund 20 Jahren unterwandert hätte – so jedenfalls ein Vorwurf der WHO-Kritiker. Sie behaupten zudem, dass die zunehmende Einflussnahme Chinas die Organisation aus dem Gleichgewicht gebracht hätte. Die Auswirkungen unter anderem einer intransparenten Finanzierung erscheinen fatal. So zeigt die Dokumentation auch auf, dass zuletzt zahlreiche Stimmen vor den Problemen bei der WHO gewarnt hatten.


Mittwoch, 1. Juli 2020

Die Weltgesundheitsorganisation in der Kritik

Die Weltgesundheitsorganisation kann auf eine lange durchaus erfolgreiche Geschichte zurückblicken. Gegründet 1946 konnte sie auch in dunklen Zeiten des Kalten Krieges ihre Ziele – ein bestmögliches Gesundheitsniveau für alle – durchaus erreichen.
Die Organisation war mitbeteiligt an der Ausrottung der Pocken und der Entwicklung von Impfstoffen gegen Malaria und Kinderlähmung.

Fehler in der Corona-Krise

In der Corona-Krise jedoch muss sich die WHO schwere Vorwürfe gefallen lassen. Sie hat frühzeitige Hinweise aus Taiwan ignoriert und Chinas Interpretation ungeprüft übernommen. Erst am 11. März, als der Virus bereits in vielen Ländern Tote gefordert hat, folgte die Klassifikation als Pandemie.

Reformieren und nicht davonlaufen

Der Austritt der USA ist dennoch der falsche Weg. Trump lenkt vom eigenen Versagen ab. Die USA waren bisher größter Beitragszahler – vor der Bill & Melinda Gates Stiftung – und werden die Dominanz durch China noch erhöhen. Außerdem ist dadurch kein Problem gelöst – im Gegenteil.

Ist die EU am gesundbeten?

Die Europäische Union kritisiert den Ausstieg der USA und die WHO. Sie hat angekündigt, Reformvorschläge zu machen, denn sie sieht in der WHO eine wichtige Rolle bei der gerechten Verteilung möglicher Medikamente und Impfstoffe
Ob ihr das gelingt? Paul-Anton Krüger ist in der Süddeutschen skeptisch: "Die Appelle aus Europa, das Beschwören von Multilateralismus und einer regelbasierten internationalen Ordnung, wirken unbenommen ihrer inhaltlichen Berechtigung fast so hilflos, als wollte man die Corona-Krise mit Gesundbeten bewältigen."

Eine starke, unabhängige WHO

Dabei ist die Weltgesundheitsorganisation gerade jetzt wichtig, wie Thomas Schwarz vom Geneva Global Health Hub betont:
„Wir möchten eine starke, unabhängige WHO, die öffentliche Gesund-heit vertritt. Die das Menschenrecht auf Gesundheit gegenüber kommerziellen Interessen einfach verteidigt. Die an den Grundlagen der Gesundheit und an den krankmachenden Verhältnissen arbeitet und da eine starke Stimme ist. Die in diesen globalen politischen Prozessen selbstbewusst eine Führungsrolle inne hat.“

Weitere Informationen

Deutschlandfunk: Unabhängigkeit der Weltgesundheitsorganisation
Süddeutsche: Angeschlagene Weltgesundheit
Süddeutsche: Die Zerreibprobe

Samstag, 27. Juni 2020

750 Milliarden für die Zukunft Europas

Es sind gewaltige Summen, aber sie könnten helfen, die Europäische Union eine schwierigen Situation zu überwinden – politisch und ökonomisch.
Die Kommission hat neben dem regulären Haushalt ein 750 Milliarden Programm vorgelegt, um die Folgen der Corona-Krise abzumildern.

Der Merkel-Macron-Plan

Die Grundlagen bildete der Vorschlag des französischen Präsidenten Macron und Bundeskanzlerin Merkel, die zur Überwindung der Krise ein 500 Mrd. Programm vorgeschlagen haben, das über Kredite finanziert werden sollen. Es war ein Kompromiss: Macron konnte durchsetzen, dass es sich dabei um Zuschüsse handelt, Merkel erreichte, dass es sich um eine einmalige Anleihe handeln soll.

Der Wiederaufbaufonds

Die Kommission ergänzte die Idee um weitere 250 Milliarden, die als Kredite zur Verfügung stehen. Diese Summe steht unter dem seltsamen Namen NextGenerationEU nun vor allem den Ländern zur Verfügung, die am härtesten von der Corona-Krise betroffen sind. Dieser soll den „normalen“ Haushalt ergänzen, der über die nächsten sieben Jahre einen Umfang von 1,2 Billionen Euro hat. Einen Überblick über den Wiederaufbaufonds bietet die Süddeutsche Zeitung

Große Erwartungen an die deutsche Präsidentschaft

Die Verabschiedung des Haushaltplans und des Wiederaufbaufonds ist nur eines der vielen Herausforderungen für die deutsche Präsidentschaft, die am 1. Juli beginnt.
Es ist viel Geld und Deutschland wird deutlich mehr Geld bezahlen als es herausbekommt. Aber was ist die Alternative? Bundespräsident Steinmeier hat es auf den Punkt gebracht: Bundespräsident Steinmeier: „Deutschland kann nur stark und gesund aus der Situation hervorgehen, wenn es auch den Nachbarn gut geht.“

Sonntag, 21. Juni 2020

Brexit-Verhandlungen in Corona-Zeiten - gibt es noch ein Abkommen?

Großbritannien war mit am härtesten von der Corona-Pandemie betroffen: über 248.000 Fälle – darunter auch Premierminister Johnson und über 44.000 Tote. Auch die Wirtschaft bricht ein, keine guten Voraussetzungen für die Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen mit der EU.

Doppelter Schock durch Corona und Brexit 

Alexander Mühlauer verweist in der Süddeutschen Zeitung  darauf, dass Johnson diesen doppelten Schock nutzen könnte: Eine harte Landung, im schlimmsten Fall ohne Handelsvertrag mit der EU, wird wahrscheinlicher. Johnson könnte nämlich versuchen, den Schaden des Brexit unter dem weitaus größeren Schaden der Corona-Krise zu verbergen.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Die Verhandlungen kommen jedenfalls nicht von der Stelle. Im Moment überziehen sich die beiden Seiten mit Vorwürfen. Die Europäische Union fordert die dreifache Null: Null Zölle, null Quote und null Dumping. Bei diesem Punkt setzt die Kritik an – ein Anliegen war es ja, endlich eigene Standards festzulegen. In der Tat wurde dies von keinem Handelspartner erwartet, z.B. Kanada beim Abkommen CETA. 

No deal ist schlecht für alle

Die Verhandlungen bleiben kompliziert. Die Knackpunkt beschreibt ein Artikel im Deutschlandfunk.
Dennoch bleibt die Hoffnung auf eine Einigung, denn ein No-deal – das Scheitern der Verhandlungen – wäre schlecht für alle: Zollkontrollen, unterbrochene Lieferketten und nicht zuletzt der politische Schaden, der durch ein Scheitern der Verhandlungen angerichtet würde.

Dienstag, 16. Juni 2020

Über Care-Arbeit – passen Frauenberufe nicht in den Kapitalismus?

Bereits vor der Corona-Krise waren die Probleme im Bereich der Pflege offensichtlich: viele unbesetzte Stellen, (zu) viele Patient*innen pro Pfleger*in, schlechte Bezahlung.
Neben der Pflege zählen auch Kinderbetreuung und Haushalt zur „Care-Arbeit“ – Tätigkeiten, bei dem es um das Kümmern geht. Diese Tätigkeiten werden überwiegend von Frauen ausgeführt und werden entweder überhaupt nicht oder nur gering bezahlt ist. Zwei Erklärungsansätze stelle ich in diesem Blogeintrag vor.

Passen Frauenberufe nicht in den Kapitalismus?

Lea Hampek und Naikissa Salavati liefern in der Zeitschrift „Plan W“ der Süddeutschen Zeitung Gründe, warum Frauenberufe schlecht bezahlt sind.
Frauen suchen sinnstiftende Arbeit, diese aber haben in einem System, das Waren und Geld produzieren soll, keinen dominanten Platz. Dies ist auch historisch bedingt, denn „Care-Arbeit“ wurde entweder in der Familie oder im Ehrenamt ausgeführt. „Frauenberufe passen nicht in den Kapitalismus“, so das Fazit der Autorinnen. Die Privatisierung und Einführung von Marktelementen hat an dieser Situation nichts geändert – im Gegenteil ist der finanzielle Druck sogar noch gestiegen.

Kümmern sich Pfleger*innen nicht genug um sich selbst?

Auf einen weiteren Punkt verweist Detlef Esslinger in der Süddeutschen Zeitung auf einen weiteren wichtigen Punkt. „Es gibt in der Pflege keine bedeutende Gewerkschaften, die Tariflöhne für alle durchsetzen könnte – weil Pflegekräfte Menschen sind, die sich gern um andere kümmern, aber oft sich selbst vergessen.“ Andere Berufsgruppen schaffen es in der Tat besser, ihre Interessen durchzusetzen.

Änderungen in Sicht!?

Immerhin wurden einige Verbesserungen beschlossen: der Mindestlohn wurde erhöht, es soll einen besseren Pflegeschlüssel und eine Sonderprämie geben. Außerdem bleibt die Hoffnung, dass die Anerkennung bleibt und die Arbeit der Pfleger*innen nicht nur durch Applaus, sondern auch mehr Anerkennung gewürdigt wird.

Samstag, 13. Juni 2020

Zurück zur Rollenverteilung zu Zeiten unserer Großeltern?

Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung Berlin, schlägt Alarm: sie warnt vor einer „entsetzlichen Retraditionalisierung“ und einem Rückfall auf eine Rollenverteilung wie zu Zeiten unserer Großeltern.

Die Frauen verlieren ihre Würde

In einem Beitrag für die ZEIT verweist Allmendinger auf eine Studie zur Rollenverteilung zwischen Müttern und Vätern in der Corona-Krise. Es sind überwiegend Frauen, die sich aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen. Selbst wenn beide Partner zuhause sind, ist es oft die Frau, die sich neben dem Beruf um die Kinder und den Haushalt kümmert. Anders als viele romantisierend vermuteten, sind viele Frauen nicht froh, endlich die Last der Erwerbsarbeit abgeschüttelt zu haben.

Mutti macht das schon

Barbara Vorsamer kritisiert in der Süddeutschen Zeitung, dass die Politik Mütter und Väter alleine lässt. „Für Firmen packt man die Bazooka aus, für Eltern nicht mal die Wasserpistole“. Zwar wurde jetzt eine Sonderprämie von 300 Euro versprochen, aber auch hieran gibt es berechtigterweise Kritik. Für Nicola Fuchs-Schündeln wären die Öffnung von Schulen und Kita wichtiger.

Frauen arbeiten in systemrelevanten Berufen – und verdienen weniger

Frauen arbeiten überproportional in Berufen, die in der Krise als „systemrelevant“ angesehen wurde, z.B. in der Pflege oder an der Kasse. Neben der Belastung durch in der Familie kommt dies für viele Frauen noch hinzu.

Staatshilfen überprüfen

Die Prognosen von Jutta Allmendinger eines Rückfalls um 30 Jahre mögen übertrieben zu sein, eine Diskussion ist aber dringend erforderlich. Wichtig finde ich auch ihre Forderung, dass alle Staatshilfen hinsichtlich ihrer Bedeutung für Frauen überprüft werden sollten. Erfreulicherweise hat die Debatte über eine bessere Bezahlung von Care-Arbeit bereits begonnen, auf die ich in einem weiteren Beitrag ausführlicher eingehen möchte.

Dienstag, 9. Juni 2020

Kein Leben ist weniger wert - gibt es einen Konflikt der Generationen?

In den nächsten Beiträgen geht es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Heute beginne ich mit der Frage, wie sich die Corona-Krise auf die Generationen und das Verhältnis zwischen den Generationen auswirkt. 

Generation Corona: Jung, motiviert – abgehängt?

Der SPIEGEL widmete der Jugend eine Titelgeschichte und zeigte die besondere Betroffenheit der Generation.
Junge Menschen unterschiedlichen Alters sind betroffen: in der Schule, bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz und im Berufsleben. Außerdem muss die jungen Generation die nun aufgenomme-nen Schulden irgendwann zurückzahlen.  Für den Jugendforscher Klaus Hurrelmann ist klar: "Die Jungen werden das Wohlstandsniveau ihrer Eltern nicht erreichen, es geht für sie ums Halten" - wenn überhaupt.

Dreifache Konfrontation der Generationen?

Andreas Zickle beschreibt in der Süddeutschen Zeitung drei konfliktreiche Themenfelder:
  • Rente: Durch den Generationenvertrag müssen immer weniger Jüngeren müssen für immer mehr Rentner*innen finanzieren
  • Klimawandel: Die Jugend wird die Folgen unseres heutigen Verhaltens ausbaden müssen
  • Corona-Krise: der Ausnahmezustand trifft wirtschaftlich v.a. jüngere Menschen
Daraus schließen einige, dass sich Ältere isolieren sollen, um jüngere Menschen (und die Wirtschaft) zu schützen. Die Debatte gipfelte in den unsäglichen Äußerungen von Boris Palmer, dass einige Opfer eh bald gestorben wären. Dennoch ist die Frage wichtig: Opfern die Jungen ihren Wohl-stand, nur damit die Alten und Kranken ein kleines bisschen länger leben? 

Kein Leben ist weniger wert

Christina Berndt gibt in der Süddeutschen Zeitung mit dem treffenden Titel Kein Leben ist weniger wert eine klare und aus meiner Sicht überzeugende Antwort: Diese Debatte ist moralisch unerträglich - und wissenschaftlich haltlos. Auch wenn das Durchschnittsalter der Verstorbenen hoch ist, gehen Expert*innen von einem Verlust zwischen fünf und 13 Lebensjahren aus. Sie folgert: „Es geht für alle um Gesundheit, um Geld - und um ein möglichst langes Leben in einer Gesellschaft, die in der Krise zusammensteht.“

Individuelle Empfehlungen für Patienten

Natürlich ist eine Debatte notwendig, wie man Menschen aus der Risikogruppen am besten schützt. Wenig hilfreich finde ich aber den Vorschlag, die eine Generation komplett wegzusperren. Überzeu-gender ist der Vorschlag des Soziologen Hans Bertram, für Patienten individuelle Empfehlungen je nach Alter, Vorerkrankung und Konstitution auszusprechen.

Samstag, 6. Juni 2020

Rettungsmaßnahmen - wie kann der Staat zu Geld kommen?

In diesem Blogeintrag geht es um die immer größer werdenden Rettungspakete und Schulden – und Ideen, wie der Staat zu Geld kommen könnte.

Rettungspakete und Ausfälle werden immer größer

Mit einem Konjunkturprogramm über 130 Mrd. hat die Bundesregierung in dieser Woche ein deutliches Zeichen gesetzt. Bereits zuvor waren Hilfspakete in der Höhe von 350 Milliarden beschlossen worden. Dazu kommen Garantien im Umfang von 800 Milliarden für Unternehmen.
Auf der anderen Seite wird mittlerweile erwartet, dass das Steuereinkommen um 316 Milliarden geringer ausfallen können. Zusätzlich wird es auch auf europäischer Ebene ein Rettungspaket, das nach aktuellen Vorschlägen der Kommission einen Umfang von 750 Milliarden haben wird. 

Schulden, Wachstum und weniger Subventionen

Unter dem Titel „Kommt Deutschland jemals wieder raus aus den Schulden?“ berichtet der SPIEGEL über die Positionen von Deutschlands bekanntesten Ökonomen. War Peter Bofinger jahrelang Außenseiter, sind sich mittlerweile fast alle einig: Zur Bekämpfung der Folgen der Pandemie müssen Schulden aufgenommen werden. Uneinig sind sich die Experten aber, ob und wann die Schulden zurückgeführt werden sollten. Unterschiedliche Meinungen gibt es auch in der Frage, ob Wachstum ausreicht, um die Schuldenquote schnell wieder zurück zufahren. Gabriel Felbermayr hinterfragt die 200 Milliarden Subventionen und Steuerprivilegien „Da liegt viel Geld auf der Straße, das man einsammeln kann.“ 

Hier liegt ein Schatz

Die Süddeutsche nennt sechs Ideen, wo noch Geld zu holen ist.  Der größte Posten ist hier das Vermögen der Geldwäscher, das auf bis zu 4,2 Billionen geschätzt wird. Durch das Einfrieren von Konten könnte sich der Staat hier einiges holen. Auch in Immobilien steckt viel Schwarzgeld. Die Autoren fordern dem Beispiel Italiens zu folgen und hier stärker zu beschlagnahmen.
Die weiteren Vorschläge betreffen Steuern: auf den Devisenhandel, der täglich (!) einen Umfang von 6 Billionen hat sowie die Bekämpfung von Steuertricks und Steueroasen.
Ein vergleichsweise kleinerer Posten sind sog. nachrichtenlose Konten. Auf den Konten von Menschen ohne Erben schlummern weitere Milliarden, die bisher nach 30 Jahren den Banken zufließen.

Höhere Steuern und Vermögensabgabe

Die Bundesregierung hat überraschend angekündigt, die Mehrwertsteuer zumindest kurzfristig zu senken. Dennoch könnte es am Ende auf höhere Steuern hinauslaufen. Die SPD-Parteichefin Saskia Esken hatte eine Vermögensabgabe ins Spiel gebracht. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags bezweifelt, dass die Corona-Krise als Begründung für eine Vermögensteuer für reiche Bürger tauge. Die Süddeutsche Zeitung zitiert den Verfassungsrechtler Joachim Wieland, der eine einmalige Vermögensabgabe für möglich hält. Dies wird letztlich auch eine politische Frage sein.